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Mittwoch, 4. Mai 2022

Zum Tod von Jiří Šalamoun



Die Sache mit der Gleichgültigkeit

Zum ersten Mal hörte ich seinen Namen von Volker Pfüller, seinem Freund und Kollegen aus der damaligen DDR. 1984 zeigte der mir bei einem Besuch in Ostberlin Bücher mit Bildern, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Sie schienen aus weiter Ferne zu kommen und waren doch seltsam vertraut. Archaisch wie von Kinderhand, aber kein bisschen naiv. Wild und gebändigt gleichermaßen, voller intelligenter Referenzen aus Literatur und Kunst, Bilder von großer Kraft und Wucht.
Jiří Šalamoun, wurde 1935 in Prag geboren, war lange Zeit dort Professor an der Akademie der Künste, Architektur und Design und ist am 24. März 2022 auch dort gestorben.
Einen Teil seiner Ausbildung absolvierte er in Leipzig an der Hochschule für Graphik und Buchkunst, und hat neben vielen Filmen, Graphiken und Publikationen, auch in der damaligen DDR zahlreiche Bücher illustriert. In seiner Heimat ist Jiri Salamoun berühmt und jedes Kind kennt ihn dort allein durch die Zeichentrickserie mit Fips dem Hund. Dass er hierzulande so wenig bekannt ist, zeugt auch vom mangelnden Kulturtransfer von Ost nach West.
Interessiert war Jiří Šalamoun vor allem an Urthemen wie dem Faust, an Bildergeschichten in ihren ganz ursprünglichen Formen wie fliegenden Blättern, Moritaten oder mittelalterlichen Wandmalereien. Er benutzte Listen und Notizen als Bildelemente, scheute keine Übertreibung zur Verdeutlichung und war, in der sozialistischen Tschechoslowakei, geübt in der Kunst der Satire und Groteske.
1990 war ich an der Sommerakademie in Salzburg und hatte das große Glück, dort 5 Wochen lang Schülerin von Jiří Šalamoun zu sein.
Ich lernte einen Mann kennen, der kaum ein Wort sagte, der mit den Händen auf dem Rücken auf und ab ging, alles genau betrachtete und der meine verworfenen Skizzen aus dem Müll fischte. Er strich sie glatt und legte sie mir wieder auf den Tisch: die sind doch gut, sagte er dann, und irgendwann dann diesen Satz, der bis heute mein Leitsatz geblieben ist, und der eine Zäsur in meiner eigenen Arbeit markiert: Sie müssen sein im Zustand von Gleichgültigkeit…. Er sagte das mit tschechischem Akzent und ich habe verstanden: erst wenn man sprichwörtlich mit „Leib und Seele“ dabei ist, wenn „Herz und Verstand“ gleiches Gewicht haben, kann Kunst entstehen.Nach dem Fall der Mauer erwarben mein Mann und ich 100 Exemplare eines besonders schönen Buches von Jiří Šalamoun. Es war für je 1 Mark zu haben und steckte in einem Schuber, nummeriert mit beigelegter signierter Graphik. Das Buch „Tango Mortale“ ist eine Anthologie mit grotesken Gedichten von Wedekind bis Brecht, erschienen 1988 im Eulenspiegel Verlag. Die Bücher sind längst verschenkt und nur eines ist mir geblieben, signiert mit dem dicken und sehr weichen Zimmermannsbleistift, den Jiří Šalamoun immer benutzt hat.

Rotraut Susanne Berner (Beitrag FAZ vom 29. 4.2022)

    

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