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Sonntag, 25. Oktober 2020

Volker Pfüller - ein Nachruf

Volker Pfüller ist am 23. Oktober 2020 gestorben. Bis zuletzt hat er für sein geliebtes Theater gearbeitet: In Rudolfstadt entwarf er noch Bühne und Kostüme für das Stück: Die Verteidigung der Gummibären von Gerhard Polt. Die Premiere war am 11. Oktober und er selber konnte sie nur vom Krankenhaus aus verfolgen. 
1984 haben wir uns durch einen schönen Zufall kennengelernt und seither, also mein halbes Leben lang, hat mich Volker begleitet als Freund und Kollege.Die Begegnung mit Volker Pfüller war für mich mehr als nur ein interessantes Zusammentreffen mit einem Kollegen: für mich war die Arbeit, die ich da plötzlich kennenlernte, eine Art Offenbarung - ein Türöffner in eine unbekannte Welt und ich kann behaupten, daß sich an meiner eigenen Arbeit diese Begegnung ablesen läßt. Durch ihn habe ich die Arbeit vieler anderer Künstler kennengelernt, z.B. die von Jiri Salamoun oder von Ruth Knorr - lange vor der Wende, als man deren Arbeiten hier im Westen überhaupt nicht zu Gesicht bekam. 
Volkers Arbeit ist von Vielfalt, Humor und Einfallsreichtum gekennzeichnet, die Überschrift über allem aber lautet:„Die Zeichnung“. Die Zeichnung ist die Grundlage aller Arbeiten von Volker Pfüller, ob Bühnenbild, Kostüm, Stilleben, Stoffdesign oder Kinderbuch: sie ist das Fundament für alles, das Schnittmuster für das spätere Produkt. Volker Pfüller war das, was man eine Künstlerpersönlichkeit nennt: das heißt, er hat sich die Welt in beneidenswerter Weise als Gestaltungs-Spielwiese angeeignet.
Er war ein Mann mit sehr vielen Berufen: Graphiker, Bühnenbildner, Typograph, Illustrator, Designer, Modeschöpfer, Hersteller, Maler, Lehrer - ja sogar Bildhauer - nebenher war er auch noch Familienvater, Großvater, Ehemann, Bauherr und ein guter Koch. 
  
Der Plakatkünstler: Ich erinnere mich noch deutlich an einen Besuch in Ostberlin, ich glaube es war 1985: kaum hatten wir die Grenzprozedur am Bahnhof Friedrichstraße überstanden, begrüßte uns von allen Litfaßsäulen eine dramatische Medea. Diese Plakate des deutschen Theaters waren für mich auf eine ganz unbekannte Weise wild, agressiv und exzentrisch. An dieser Stelle habe ich vielleicht die Funktion eines guten Plakates zum ersten Mal richtig verstanden: als ein Signal, das man auf den ersten Blick nicht übersehen kann, das man beim zweiten Blick sofort erfasst, um es beim dritten Blick lesen zu müssen. Bei Pfüllers Plakaten gibt es noch einen weiteren Blick, der das Plakat als Kunstwerk erkennt, das über seine eigentliche Funktion hinausgeht. Da sitzt zum Beispiel ein Zwerg, ein fast insektenhafter Kafka in einem großen Sessel. Nicht mehr und nicht weniger. Und doch erfaßt man sofort, Auge in Auge mit der kleinen, schwarzen Figur, ihre ganze Tragikomik. 
   Der Lehrer: Kaum jemand hat so viele junge Künstler auf ihren Weg gebracht. Einige davon sind inzwischen berühmt geworden. Hier nur ein paar Namen unter vielen anderen: Anke Feuchtenberger, Henning Wagenbreth, Atak, Thomas Müller, Christoph Feist, Gerda Raidt, Katrin Stangl, Franziska Neubert, Katja Spitzer, Philipp Stölzl.
  Der Bühnenbildner: Volker war sehr viel mehr als nur der Architekt einer Theater-Aufführung. Er baute einen ganzen Kosmos um ein Theaterstück herum, gestaltete Kostüme, Plakate und Programmhefte, so daß man, wie Alice, in eine Wunderwelt fiel. Wer beispielsweise nur die Kostüme einmal ein bißchen näher betrachtet, der bedauert, daß Volker nicht Modeschöpfer geworden ist. Überhaupt ist der Einfluß des Theaters auf die Bilderwelt von Volker Pfüller in allen Disziplinen zu spüren. Vielleicht ist es aber auch so, daß er sich zum Theater darum hingezogen fühlte, weil dessen Dynamik mit den Möglichkeiten der Übertreibung und Pointierung seinem eigenen bildnerischen Ausdruck entsprach.

Der Buchkünstler: Volker Pfüller gehörte nicht zu denen, die ihre Bilder den Texten nur zur Seite stellen. Schrift, Bild, Einband, Vorsatz und Papier gehören zusammen, er hielt alle Fäden als Schöpfer, Handwerker und Kommentator in der Hand, er war Hersteller, Layouter und oft sein eigener Lithograph. Vor allem diese Disziplin, die sich in besonderer Weise um das Bild kümmert, das gedruckt und eben nicht als Original an die Wand gehängt werden soll, beherrschte Volker Pfüller wie kaum ein anderer und sie charakterisiert auf ganz besondere Weise seine Plakat- und Bildkunst. Hier knüpft seine Arbeit auch in der Technik direkt an die Kunst der Jahrhundertwende und der darauffolgenden zwanzig Jahre an, die er inhaltlich und stilistisch oft auf seine ganz eigene, kluge und ganz und gar pfüllersche Weise zu zitieren vermochte.
























Dazu ganz kurz eine kleine Erklärung ohne allzu sehr ins technische Detail zu gehen: Sehr oft sind Volker Pfüllers Illustrationen und Plakate Originalgraphiken. Das heißt: gezeichnet wird auf Film oder Druckplatte, ganz gezielt also für die Vervielfältigung. Nichts soll auf dem Weg zum gedruckten Produkt verlorengehen - die Spontaneität des Entwurfs, der Idee bleibt erhalten - und erst im Druck, für den die Farben dann individuell gewählt werden, entsteht das eigentliche Bild.
 

Der Maler: Malen war für Volker, noch mehr vielleicht als die angewandte Kunst, gekennzeichnet von Freiheit - eine Arbeit nur im eigenen Auftrag. Einige schöne Ausstellungen und viele Bilder mit Landschaften und Stillleben zeugen von seiner Liebe zu diesem Metier.
Ich könnte hier noch über viel mehr schreiben, z.B. über die ganz besondere Art und Weise wie der Porträtist Volker Pfüller die Menschen gesehen hat, seine Lust am Grotesken, Drastischen und Skurrilen, über seine Vorbilder und Vorlieben, über sein tollkühnes Verhältnis zu Farben und Farbmischungen. Oder über den Handwerker Volker Pfüller, der souverän die Techniken wechselt.
Sollte man eine Metapher für die Bilderwelten von Volker Pfüller finden, so könnte man vielleicht sagen, daß sie wie Pfeile ins Herz der Texte und Themen treffen.Sie lassen sich leicht lesen ohne simpel zu sein, sie erklären das Wichtigste zur Hauptsache, ohne zu vergröbern, sie sind wie Scheinwerfer, die gnadenlos ihren Figuren ins Gesicht leuchten ohne sie zu denunzieren. Dabei hat Volker Pfüller die Fähigkeit allem und allen einen ganz eigenen Charakter zu verleihen. Wenn man zum Beispiel bei Pfüllers zuhause die Möbel genauer anschaut, dann hat man das Gefühl, daß sie zur Familie gehören. Die meisten sind selber geschreinert, oder bemalt. Ich trauere mit seiner Familie um einen Freund und um eine Künstlerpersönlichkeit.


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